Am 27.1.20 durfte ich das offizielle Gedenken von Stadt, Landkreis, Stadtkirche und Evangelischer Akademie zum Holocaust-Gedenktag in Lutherstadt Wittenberg organisieren und moderieren. Es hat mich mit Stolz erfüllt. Und mein Ziel war es einerseits an die Tradition des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Wittenberg anzuknüpfen und diese weiterzuentwickeln. Deshalb habe ich beide Gymnasien um einen kurzen Textbeitrag von Jugendlichen gebeten. Dabei sind wirklich tolle Texte entstanden, die ich nach reiflicher Überlegung (mehr dazu unten) mit oder ohne Namen hier und anderer Stelle veröffentlichen werde.
Die Rede des Bundespräsidenten am 23.1.20 beim World Holocaust Forum in Yad Vashem bot so viel Stoff, dass ich es mir einfach machte und gleich zweimal daraus zitierte. Außerdem verwies ich noch auf einen Kommentar des rbb, in dem Maria Ossowski darauf hinwies, dass es oft nicht der Hass, sondern Gleichgültigkeit und Gier waren, die die Judenverfolgung im Nationalsozialismus erst möglich gemacht hätten.
Ich versteckte mich dabei auch ein bisschen hinter dem Bundespräsidenten. Seine Worte waren wohl gewählt und es macht mich weniger angreifbar, wenn es nicht meine, sondern seine Worte sind, mit denen ich öffentlich auftrete. Schließlich weiß man bei einer solchen Veranstaltung in Wittenberg inzwischen nicht mehr, wer mit welcher Intention kommt. Um klar zu machen, worum es ging, begrüßte ich alle mit den Worten: „Schön, dass Sie hier sind, um gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.“
Trotzdem passierte, was heute in vielen Orten in Deutschland scheinbar nicht mehr zu vermeiden ist. Im Nachgang beschwerte sich ein AFD-Stadtrat, weil ein Jugendlicher in seinem sehr persönlichen Text vor der blau-braunen Gefahr gewarnt hatte. Statt über den Massemord an Juden soll der öffentliche Diskurs jetzt über die angebliche Benachteiligung einer Partei gehen.
Soweit so normal! Soweit so mein Gedenken gestört und meine Freiheit eingeschränkt und ich auch ein bisschen eingeschüchtert! Insbesondere wenn ich an die Dynamik denke, die solche Diskussionen schnell im Netz auslösen kann. Dabei geht es mir weniger um mich als um die Jugendlichen, für die ich mich verantwortlich fühle.
Schon während der Veranstaltung hatten wir gemeinsam mit der Stadt überlegt, wie wir die Texte der Jugendlichen veröffentlichen können. Der ganz überwiegende Teil der Teilnehmenden der Gedenkveranstaltung waren von den Überlegungen der jungen Menschen nämlich ziemlich begeistert.
Die Texte liegen inzwischen vor, nur stelle ich mir jetzt die Frage, ob ich die Namen der Jugendlichen weitergeben kann. Sie – und nach Aussage der Lehrerinnen – auch ihre Eltern haben zwar der Veröffentlichung zugestimmt, aber darf man junge Menschen potenziellen Angriffen ausliefern? Oder ist genau dieser Gedanke der (Selbst)Zensur das Problem? Muss man sie also vielmehr gerade dabei unterstützen, aufrecht ihre Meinung zu sagen und dafür einzustehen, wie sie es auch bei der Gedenkveranstaltung getan haben?
Update 24.2.20: Ganz vergessen hatte ich hier den Hinweis, dass ich zum Thema Einschüchterung von Kommunalpolitiker*innen auch schon etwas geschrieben hatte.
Titelbild: Image by Richard Ley from Pixabay
AfD wirkt, wenn du dir darüber ernsthaft Gedanken machst. Wir sollten diesen Gedanken keinen Meter des Feldes überlassen. Veröffentliche (mit Einverständnis, natürlich) die Namen – und jeder kleinste Fehltritt im Diskurs muss konsequent angezeigt werden. Der Staat hat das Gewaltmonopol? Dann soll er es auch durchsetzen. Auch denen wird es unbequem, ständig Post von Polizei und Staatsanwalt beantworten zu müssen.