Endendes Gleis mit Prellbock und Leitplanke, Bild von Sebastian Thöne auf Pixabay

Schreibblockade eines Bildungspiraten

Bevor ich wieder zur Tagesordnung übergehe, muss ich auch an dieser Stelle erstmal verarbeiten, wo ich gerade stehe. Mein letzter Blogbeitrag von Anfang Mai hat so viel Ressonanz gefunden, dass ich vor Schreck 😉 keine Beiträge mehr veröffentlicht habe. Wer weiß, wann wieder so viele Menschen hier etwas lesen?

Weil ich etwas polemischer geschrieben habe, aber auch weil es um ein damals – und heute vielleicht auch noch – brennendes Thema ging, führte „Schulfrust – Ich bin am Ende“ zu einem Gastbeitrag auf der Webseite von MDR Sachsen-Anhalt sowie zu einem kurzen MDR-Home-Video (Ausschnitt in der Sendung Fakt ist am 8.6., ab Min 23:14), in dem mein jünster Sohn und ich von unseren Erfahrungen mit dem Distanzlernen berichteten und das in MDR Sachsen-Anhalt und anderen Formaten genutzt wurde. Sogar Bildungsminister Tullner nahm in der o.g. Sendung Bezug auf meine Aussagen. In einer Antwort auf meinen Beitrag unter dem Titel „Die Lehren der Zeit: Wir müssen Lernen und Schule verändern!“ zeigt Ines Bieler sehr schön, was Schule aus der Corona-Krise lernen kann (Ines Bieler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „DikoLa – digital kompetent im Lehramt“ am Zentrum für Lehrer:innenbildung der Martin-Luther-Universität in Halle).

Warum hatte dieser Beitrag so viel Ressonanz? Und wie beeinflusst der daraus entstehende Diskurs gesellschaftliche Entwicklungen? Diese beiden Fragen lassen mich nicht los.

Einerseits ist es gut, dass ich mit meinem Blog so schnell und unerwartet Teil eines öffentlichen Diskurses in Sachsen-Anhalt werden konnte, der Schule und Bildung hinterfragt und letztlich die Sehnsucht nach einer Schule beschreibt, in der die Beziehung zwischen allen Beteiligten im Vordergrund steht und lernen projekthaft und eigenverantwortlich stattfindet.

Andererseits irritieren mich die Rahmenbedingungen dafür. Vermutlich wurde der Beitrag auch aufgrund des polemischen, frustierten Tons häufiger in sozialen Netzwerken geteilt und erhielt deshalb die Aufmersamkeit des MDR. Geschrieben hatte ich ihn am Tag, bevor die Schule (teilweise) wieder losging. Ich war den ersten Tag wieder den ganzen Tag in der Ev. Akademie und am Abend herrschte großes Chaos. Die ersten persönlichen Kontakte der meisten Lehrer*innen nach sieben Wochen bestanden darin, nun mitzuteilen, was von den Hausaufgaben am nächsten Tag in welcher (ausgedruckten oder auf Papier gestalteten) Form mitzubringen sei. Hatte ich meinen Glauben an die Schule in der Zeit des reinen Distanzlernens schon fast verloren, so verlor ich an diesem Tag meine Geduld. Und das spürt man dem Beitrag an. Im Nachhinein habe ich mich kritisch gefragt: Ist das schon (fast) Populismus, das so aufzuschreiben? Oder machen die sichtbar werdenden Gefühle den Beitrag einfach lebendiger?

Ein zweiter Fakt irritiert mich. Ich gehöre in vielerlei Hinsicht zu den Priveligierten, insbesondere in der Corona-Krise. Wir hatten für jedes Kind einen (nicht immer ganz neuen) Laptop. Alle Kinder hatten zusätzlich Zugang zu einem (meist eigenen) Smartphone. Wir haben einen großen Garten und jedes Kind ein eigenes Zimmer. Sogar für die Eltern blieb noch ein Durchgangszimmer bzw. eine Kammer als separater Arbeitsplatz. OK, wir hatten beide Arbeit, also zu wenig Zeit für Home-Office, dafür aber auch nicht weniger Geld als sonst. Warum also wird gerade meine Stimme gehört? Warum werden nicht Menschen gehört, die Existenzängste oder keinen Zugang zu digitalen Medien haben oder in sozialer oder physischer Enge zusammenleben? Wäre es mein Auftrag gewesen, das noch deutlicher herauszuarbeiten?

Und dann bleibt die Frage, was die Diskussion ändert. Sicher geht es bei Schule um langsame und ausgewogene Transformationsschritte, aber dennoch habe ich das Gefühl, dass die meisten Bildungspolitiker*innen und Lehrer*innen – analog zu den meisten gesellschaftlichen Feldern – aktuell lieber zurück zur alten Schule wollen, als an einer neuen, zeitgemäßen Bildung zu arbeiten. Hier braucht es noch mehr gute Beispiele und einen langen Atem, um etwas zu ändern. Gemeinsam mit anderen Bildungsakteure*innen aus der EKM haben wir für den kirchlichen Kontext deshalb die Bildungspiraten*innen gegründet.

Last, but not least, frage ich mich, wie ich diese Erfahrungen zukünftig für meine Bildungsarbeit nutzen kann, für die ich immer sehr um öffentliche Wahrnehmung kämpfen muss. Muss ich dafür polemischer schreiben und reden? Oder gibt es Themen, die gerade so aktuell sind, dass ich daran anknüpfen muss? Welche schwächeren/andere Akteure*innen muss ich dabei im Blick behalten?

Nachdem ich nun meine Gedanken zum öffentlichen Rummel um meinen letzten Beitrag etwas sortiert habe, verspreche ich wieder regelmäßiger zu bloggen. Ziel ist es, jeden Sonntag etwas zu veröffentlichen. In der Pipeline sind schon Beiträge zur Digitalisierung in der Kirche, zum Umgang mit Daten und zur Gestaltung zeitgemäßer Bildung, aber auch zum Scheitern.

Werbung! Das alles wird übrigens eine Rolle beim Online-Barcamp der Bildungspiraten*innen am 14.7.20 spielen, zu dem man sich noch anmelden kann. Ende der Werbung!

Liebe Leserin, lieber Leser, falls Du bis hierher gelesen hast, übergebe ich Dir hiermit die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dieser reflektierte Beitrag genauso viel Leser*innen bekommt, wie der vorhergehende Frustbeitrag 😉

Titelbild: Sebastian Thöne auf Pixabay

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